Bericht: Romantschuk und Saiko über die Wirtschaftslage in Belarus

Vom 15. bis 18. Juni 2009 waren die beiden belarussischen Wirtschaftswissenschaftler Leonid Saiko und Jaroslaw Romantschuk auf Einladung des Vereins Menschenrechte in Weißrussland zu Gesprächen in Deutschland. Der Verein wollte mit der Einladung der belarussischen Wirtschaftsexperten einen Fokus auf ökonomische Dimension der Belaruspolitik werfen. Dahinter stand die Beobachtung, dass die neue Dialogbereitschaft der belarussischen Regierung gegenüber der EU zu nicht unerheblichem Teil von ökonomischen Interessen geleitet zu sein scheint.

 

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Vom 15. bis 18. Juni 2009 waren die beiden belarussischen Wirtschaftswissenschaftler Leonid Saiko und Jaroslaw Romantschuk auf Einladung des Vereins Menschenrechte in Weißrussland zu Gesprächen in Deutschland. Der Verein wollte mit der Einladung der belarussischen Wirtschaftsexperten einen Fokus auf ökonomische Dimension der Belaruspolitik werfen. Dahinter stand die Beobachtung, dass die neue Dialogbereitschaft der belarussischen Regierung gegenüber der EU zu nicht unerheblichem Teil von ökonomischen Interessen geleitet zu sein scheint. Seit der Anhebung der Energiepreise seitens Russlands seit Anfang 2007 und erst recht mit der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise ist die Volkswirtschaft in Belarus massiv unter Druck geraten. Die Politik der einseitigen Orientierung auf Russland ist gleichzeitig der Suche nach neuen Partnern vor allem unter sogenannten blockfreien Staaten wie Iran, Venezuela, Indien und eben der EU gewichen. Inzwischen riskiert Belarus ernste diplomatische Verwicklungen mit Russland, um die Dialogbereitbereitschaft gegenüber der EU nicht in Frage zu stellen.

Auch aufgrund fehlender Transparenz sind die ökonomischen Eckdaten der belarussischen Volkswirtschaft außerhalb des Landes nur wenig bekannt und spielen in der Diskussion eine untergeordnete Rolle. Die Einladung der belarussischen Wirtschaftsexperten diente daher neben der Schwerpunktsetzung auf die ökonomisch Dimension auch der Vermittlung von Zahlen und Hintergründen der wirtschaftlichen Situation des Landes.

Neben zwei öffentlichen Podiumsdiskussionen in Berlin und Köln trafen Saiko und Romantschuk Vertreter des Kanzleramts, Bundestagsabgeordnete, den Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft und zu einem gemeinsamen Gespräch und Abendessen die Mitglieder des Vereins.

Während ihres Besuchs in Deutschland zeichneten die belarussischen Wirtschaftsexperten ein düsteres Bild der wirtschaftliche Lage ihres Landes. Seit Jahresanfang hätten sich die für das Land wichtigen Exporte nach Russland wegen der Wirtschaftskrise fast halbiert. Eine Umleitung der Waren auf den Markt der EU sei wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit der Produkte nicht möglich. Die Belarussische Industrie produziere trotz gesunkener Nachfrage unverändert weiter. Waren im Wert von 7,5 Mrd. USD lägen derzeit auf Halde. Zudem habe die Einführung der Öl-Exportzölle seitens Russland zu Beginn 2007 die Einkünfte aus dem einst attraktiven Geschäft mit Erdölprodukten mit Westeuropa (ehemals 3 Mrd. USD p.a.) schwinden lassen. Das Volumen der Exporte von Ölprodukten hätte sich halbiert.

In der Summe seien die Einnahmen der belarussischen Volkswirtschaft von 28 Mrd. fast um die Hälfte auf 15 Mrd. USD jährlich eingebrochen. In der Folge hätte Belarus bereits Schulden in Höhe von 13 Mrd. USD angehäuft. Das Land verfüge per 1. Juni 2009 lediglich noch über Währungsreserven von 3,2 Mrd. USD. Die gewährten Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 2,46 Mrd. USD und von Russland in Höhe von 3,7 Mrd. USD seien da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Kurzfristig brauche Belarus dringend 5 bis 10 Mrd. USD, um einen Bankrott abzuwenden. Für 2009 sei einen Fehlbetrag von insgesamt 15 bis 18 Mrd. USD vorauszusehen.

Die belarussische Regierung sei in dieser Situation zu einer Kürzung der Staatsausgaben um 20% gezwungen gewesen, wodurch Geld für Renten und Sozialausgaben fehle. Die Reallöhne der Bevölkerung seien durch die vom IWF erzwungene Abwertung des belarussischen Rubel um 20% zum Jahresanfang im Schnitt auf 250 USD gesunken. Eine Anhebung der Mehrwertsteuer von derzeit 18 auf dann 20 oder 22 % noch im diesem Jahr könne nötig werden und zu einem weiteren Einkommensrückgang führen. Für die Zukunft sagten Romantschuk und Saiko einen Anstieg der Arbeitslosenquote von derzeit unter 1 auf 10% voraus. Wegen Absatzschwierigkeiten sei bald vielfach mit Kurzarbeit in der Industrie zu rechnen. Das neue Kleinunternehmergesetz erschwere zudem die Einstellung von Arbeitnehmern außerhalb der Familie und damit die Absorption von Arbeitslosen durch diesen Bereich.

Die von der Regierung angekündigte Privatisierung der zu 70% in Staatshand befindlichen Wirtschaftsbetriebe sahen die belarussischen Experten mit Skepsis. Zwar würden große Unternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt, jedoch sei man noch nicht bereit diese an ausländische Eigentümer zu veräußern. Man schotte sich bislang gegen russische und chinesische Interessenten weitestgehend ab. Romantschuk und Saiko zeigten sich überzeugt, dass es eher zu einer Privatisierung durch die Nomenklatura kommen werde, um die derzeitige politische Macht in ökonomischen Einfluss zu überführen. Lukaschenko und weitere Mitglieder der Regierung könnten so zu Oligarchen werden. Jedoch bestünde die Hoffnung, dass auch diese Form der Privatisierung und Wirtschaftsliberalisierung längerfristig zu einer gewissen Öffnung und zur Bildung eines selbstbewussten Mittelstands führe. Die Bedingungen für westliche Investoren seien bislang von fehlender Rechtssicherheit und Eigentumsschutz geprägt. Zudem mache Belarus mit etlichen Auflagen, Protektionismus und Beschränkungen ausländische Investitionen fast unmöglich. Ein Beispiel seien ausländische Eigentümer von Mobilfunkunternehmen, denen im Zuge der Währungsentwertung die Tarifpreise vom Staat diktiert wurden. Das Kalkül der belarussischen Regierung auf westliche Investitionen durch eine Annäherungspolitik an die EU habe somit ohne grundlegende wirtschaftspolitische Reformen wenig Aussicht auf Erfolg.

Die Analyse von Romantschuk und Saiko zeigt, dass Belarus sich in einer dramatisch wirtschaftlichen Lage befindet. Auch Russland leidet stark unter der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise und könnte zunehmend als Kreditgeber ausscheiden. In der Folge wäre die EU der einzige realistische Partner für eine wirtschaftliche Stabilisierung von Belarus. Hierfür aber wären tiefgreifende wirtschaftspolitische Reformen notwendig. Bleibt zu hoffen, dass die EU diese Möglichkeit nutzt und im Zusammenhang mit einer nötigen wirtschaftlichen Öffnung auch eine Liberalisierung des politischen Systems in Belarus vorantreibt.

 

 

 

 

 

Repression in Belarus

In Belarus, einem der neuen Nachbarn der Europäischen Union in Osteuropa, werden Menschenrechte massiv verletzt. Präsident Alexander Lukaschenko, 1994 nach einer demokratischen Verfassung gewählt, hat das Land mit einem Verfassungscoup im November 1996 und danach in einen neo-sowjetischen autoritären Staat umgewandelt:

Die Geltung von Verfassung und Gesetzgebung wurde durch die Willkür von Präsidialdekreten ersetzt.

Die Teilung zwischen der Exekutiven, der Legislativen und der Judikativen Gewalt des Staates wurde aufgehoben.
Wahlen werden systematisch manipuliert. Das Parlament hat keine Rechte. Das Budget des Präsidenten unterliegt der Geheimhaltung.
Die elektronischen Medien liegen in der Hand der Staatsmacht. Die freie Presse wird behindert, kritische Journalisten werden verfolgt.
Regierungsunabhängige Organisationen werden verboten.

Führende Oppositionelle wurden ermordet oder „verschwanden“.

Diese und andere Menschenrechtsverletzungen sind von weißrussischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen sowie von Europarat, OSZE und Vereinten Nationen dokumentiert worden. Doch das Regime von Lukaschenko kann sich zunutze machen, dass das politische Interesse an Weißrussland in Europa gering ist. Darunter leiden die alle Menschen in Weißrussland, die Opfer der Repression werden und sich demokratisch-rechtsstaatliche Verhältnisse in ihrem Land wünschen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

 

 

Vorstand Dr. Hans-Georg Wieck
Stefanie Schiffer
Christoph Becker

 

Kontakt Postfach 330516, 14175 Berlin