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Menschenrechte
in Belarus
Politische
Verfolgung und persönliche Freiheit in Belarus
Hans-Georg
Wieck
07.
08.2009
KAS
Wendgräben
I.
Einführung
1. Die
Gründer der Vereinigung „Menschenrechte in Belarus“
ließen sich im Jahre 2004 von dem Gedanken, von dem Wunsch
leiten,
in
unserer freien Gesellschaft Kenntnisse über die massive und
fortdauernde Verletzung der Menschenrechte in Belarus in jeder ihrer
Ausprägungen zu verbreiten, und
Empfehlungen
für den Umgang mit diesem Land – vielfach als letzte
Diktatur Europas qualifiziert – und
für
die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Belarus
zu
veröffentlichen und diese Empfehlungen von Zeit zu Zeit den
aktuellen Entwicklungen entsprechend zu überarbeiten.
Zu dieser
Gründung hat auch die Erfahrung beigetragen, die ich als Leiter
der OSZE-Berater- und Beobachtermission in Minsk in den Jahren 1997
bis 2001 habe sammeln können und die mich zu der Überzeugung
haben kommen lassen, dass die Bürger und Bürgerinnen in
diesem Land durch ein autoritäres Regime in einer politischen
Zwangsjacke gehalten werden, die sie an einer freien Entfaltung
hindern und das Land in wirtschaftlicher Beziehung in eine Sackgasse
treibt.
2. Die
Mission der OSZE wurde vom Ministertreffen der OSZE im Dezember 1997
in Kopenhagen mit dem Ziel gebildet, nach der vom Präsidenten
Lukaschenko im November 1996 oktroyierten autoritären Verfassung
den demokratischen Transformationsprozess wieder in Gang zu bringen,
auf den sich in der Charta von Paris im November 1990 alle Staats-
und Regierungschefs der an der KSZE beteiligten Staaten in Europa
nach Beendigung des kalten Krieges verständigt hatten, also auf
die Einleitung eines Europaweiten politischen Reformprogramms.
An die
Stelle der ideologischen und militärischen Konfrontation des
Kalten Krieges waren die politische Einheit Deutschlands,
demokratisch legitimierte Regierungen und Staatsordnungen in Polen,
Ungarn, Tschechoslowakei und auf dem Balkan getreten. Auch die
Sowjetunion wollte sich auf diesen Weg begeben, nachdem die
sowjetische Führung unter Gorbatschow zu der Auffassung gelangt
war, dass das kapitalistische System, weil reformfähig, nicht
dem Untergang geweiht sei, und daher das sozialistische System in ein
wettbewerbsfähiges politisches und wirtschaftliches System
umgewandelt werden sollte.
3. Im
Dezember 1991 löste sich aber die Sowjetunion als Folge der
wirksamen Konkurrenz des nationalen Systems gegen das
bundesstaatliche der Sowjetunion auf und die fünfzehn
Nachfolgestaaten bestätigten bei ihrer völkerrechtlichen
Anerkennung durch die internationale, vor allem die europäische
Staatengemeinschaft die Einhaltung der von der Sowjetunion in der
Charta von Paris vom November 1990 übernommenen politischen
Verpflichtungen sowie der Verpflichtungen aus dem Vertrag über
konventionelle Streitkräfte in Europe (KSE).
4.
Darüber hinaus ist zu bemerken, dass Belarus – wie alle
anderen VN-Mitgliedstaaten – die „Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte“ vom 10.Dezember 1948 unterzeichnet und
damit die politische Verpflichtung übernommen hat, sie auf ihrem
Staatsgebiet zu beachten. In noch stärkerem - nämlich im
völkerrechtlichen Sinne – gilt das für den in den
Vereinten Nationen ausgehandelten „Internationalen Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (am 3. Januar 1976
in Kraft getreten, und auch von Belarus ratifiziert, also
innerstaatlich verpflichtendes Recht geworden), sowie für den
ebenfalls in den Vereinten Nationen ausgehandelten “Internationalen
Pakt über bürgerliche und politische Rechte“
(1976 in Kraft getreten und ebenfalls von Belarus ratifiziert). Durch
diese Konventionen werden individuelle Rechte geschützt –
nicht etwa nur kollektive, wie es in der Sowjetkultur der Fall war
und in der Wahrnehmung immer noch in vielen Gesellschaften gilt, die
von kommunistisch-sozialistischen System der Sowjetunion geprägt
worden waren. Lukaschenko selbst verbürgt sich in seinen eigenen
Worten in der Funktion des Staatspräsidenten für die
Beachtung der Menschenrechte in Belarus. Ein gröberes
Missverständnis unabhängiger Justiz ist kaum denkbar.
Belarus
ist verschiedentlich in Einzelfällen durch Anträge von
Einzelpersonen aus Belarus gegenüber der
VN-Menschenrechtskommission der Verletzung der individuellen
Menschenrechte von Bürgern des Landes bezichtigt worden. Die
VN-Menschenrechtskommission ist inzwischen reformiert und dabei
gestärkt worden.
Solange
Belarus noch nicht Mitglied des Europarats ist, kann es auf der
Grundlage der Menschenrechtskonvention des Europarats vom 3.
September 1953 (Datum des Inkrafttretens) und vor dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte (Strassburg; in Kraft getreten
1998) nicht belangt werden.
Beschwerden
sind auch in der VN-Organisation „ILO –International
Labour Organisation“ in Genf - eingegangen – sowohl
von den Freien Gewerkschaften, als auch von den Offiziellen
Gewerkschaften, die immer wieder von Lukaschenko abgerückt sind.
Die Streichung der Zollpräferenzen der EU gegenüber Belarus
geht auf die Verurteilung von Belarus durch ILO zurück.
Aus
alledem kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass die Menschenrechte
des Einzelnen kein Phantom oder Produkt weltfremder Fantasten sind,
sondern eine Realität der politischen Kultur und sozialen
Existenz des Einzelnen in Europa – aber eben derzeit nicht in
Belarus.
5. Die
Durchsetzung der Beachtung der individuell verankerten Menschenrechte
hängt in starkem, ja entscheidendem Masse von der Antwort auf
die Frage ab, ob das Land nach den Maximen der in der europäischen
Tradition stehenden „Trennung der drei Staatsgewalten“
regiert wird, oder ob die Exekutive im Zweifel das letzte Wort hat
(Kompetenzkompetenz) – auch gegenüber den anderen beiden
Staatsgewalten).
Mit der
von der OSZE-Mission in Belarus in Kooperation mit der Troika der
drei parlamentarischen Einrichtungen der europäischen
Institutionen (OSZE, Europarat, Europäische Union) vorbereiteten
und von der Konferenz der Staats- und Regierungs-Chefs
unterzeichneten Istanbuler Erklärung vom November 1999
verpflichtete sich Lukaschenko in Paragraph 22 der
Gipfel-Erklärung zu Verhandlungen seiner Beauftragten mit den
Vertreten der politischen Opposition, die sich im „Beratenden
Ausschuss der Politischen Oppositionsparteien“
zusammengeschlossen hatte, über begrenzte demokratische Reformen
(Rechte des Parlaments, Reform des Wahlgesetztes, Zugang der
Opposition zu den staatlichren Massenmedien und Verzicht auf
strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Verfolgung von
Oppositionsangehörigen). Einige Monate nach der Vereinbarung
desavouierte Lukaschenko seine eigene Unterschrift. Inzwischen hatte
Putin in Moskau die Lenkung der Staatsgeschäfte übernommen
und schlug einen kritischen Kurs gegenüber dem Demokratieauftrag
der OSZE ein. Es war nicht mehr möglich im Nachgang zu Istanbul
1999 zwischen den Vertretern Moskaus, Minsks und der westlichen
Länder einen gangbaren Kompromiss für eine neue
aussagestarke Gipfelkonferenz zu finden.
6. Nun
nimmt die Europäische Union einen neuen Anlauf mit dem Konzept
der „Östlichen Partnerschaft“, die am 7. Mai
2009 beim EU-Gipfel in Prag verabschiedet wurde und die den
beteiligten Nachfolgestaaten der Sowjetunion in Osteuropa (Ukraine,
Moldowa, Belarus) und im südlichen Kaukasus (Armenien,
Aserbaidschan, Georgien) Unterstützung bei der politischen
Annäherung an und wirtschaftlichen Assoziierung mit der EU
zusagte, was letzten Endes die Wiederaufnahme des
Demokratisierungsprozesses bedeutet, wenn dieser Zustand auch
gegenwärtig nicht in allen Fragen gegeben ist (Aserbaidschan,
Belarus). Bei der klassischen Sanktionspolitik war deren Aufhebung an
glaubwürdig und nachhaltig getroffenen
Demokratisierungsmaßnahmen gebunden. Das führte dazu, dass
westliche Regierungen oder deren Vertreter geringfügige
Maßnahmen in der richtigen Richtung (Zulassung der Zirkulation
von zwei Zeitungen, Entlassung von politischen Häftlingen als
progressive Reformschritte präsentierten und damit ihre Glaub-
und Vertrauenswürdigkeit in Frage sowie die Opposition
bloßstellten - Widerspruch zwischen dem Memorandum der EU vom
November 2006 mit zwölf Forderungen und der zwischenzeitlichen
Argumentation zur temporären Aufhebung der Sanktionen vor dem
Hintergrund angeblicher Reformschritte). Deshalb ist es schädlich,
mit der Regierung mit der Begründung zusammenzuarbeiten, sie
habe angeblich demokratische Reformen durchgeführt. Aus
strategischen Gründen erfolgt die Zusammenarbeit unabhängig
von der Frage, ob und gegebenenfalls welche demokratischen Reformen
durchgeführt worden sind.
7. In
dieser komplexen Situation fällt den mit der Beachtung oder
Missachtung von Menschenrechte befassten
Nichtregierungsorganisationen die Aufgabe des Mahners zu, den
Oppositionskräften die Rolle als Gesprächs-, als
Dialogpartner für westliche Institutionen und
Nichtregierungsorganisationen, die es zu respektieren gilt. D.h.
die westlichen Institutionen dürfen sich nicht durch die
manipulierten offiziellen Wahlergebnisse täuschen lassen, die
den Oppositionsparteien jeweils nur marginalste Stimmanteile
konzedieren. Diplomatische Vertretungen lassen sich gern durch die
Präsentation einer Scheindemokratie täuschen. De facto gibt
es keine wirksame Beschwerde und Klagemöglichkeit gegen die
Ergebnisse im Ganzen oder in einzelnen Wahlbezirken. Deshalb kommt
lokalen Wahlbeobachtern, ihren Feststellungen und den vor und nach
den Wahlen durchgeführten Befragungen von Wählern große
Bedeutung zu.
II.
Menschenrechts-Defizite der revidierten Verfassung von 1996 und der
politischen Realität.
1.
Manipulation des Verfassungsreferendums vom November 1996 und der
nachfolgenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen:
Aufhebung
eines im Jahre 1995 frei gewählten Parlaments und dessen
Ersetzung durch eine Nationale Versammlung mit den 110 vom
Präsidenten ernannten und später aus manipulierten Wahlen
hervorgegangenen Abgeordneten.
Aufhebung
der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und
judikativer Gewalt (keine Wahl sondern Ernennung der Richter durch
den Präsidenten, Abbau der Rechte des Parlaments und der
regionalen sowie kommunalen parlamentarischen Einrichtungen,
Institutionen vertikaler Strukturen der Verwaltung). Interessant ist
der Vergleichen dieser zentralistischen Struktur mit der föderativen
Struktur der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der
Selbstverwaltung mit eigenem Steueraufkommen - und folglich großer
Nähe staatlicher, bundesstaatlicher und kommunaler Verwaltung
zum Bürger und umgekehrt.
2. Es
ist für den Bürger in diesem zentral verwalteten und von
offiziellen Massenmedien in der Meinungsbildung bestimmten Land sehr
schwer, sich eine unabhängige Meinung zu bilden, in der
Öffentlichkeit mit seinen eigenen Organisationen, die einem sich
regelmäßig wiederholenden Registrierungszwang auf
zentraler und kommunaler Ebene ausgesetzt sind, aufzutreten, den
Bürger direkt oder indirekt zu erreichen und sich dem
psychologischen Druck zu entziehen, der ständig mit dem
Androhung, die berufliche Stellung oder die Ausbildungs- und
Berufsmöglichkeiten der eigenen Kinder vom „politischem
Wohlverhalten“ der Bürger, der Studenten etc. abhängig
zu machen, ausgeübt wird. Das ist die psychologische
Lage, in der sich Dissidenten, Oppositionelle und Mitarbeiter
tatsächlich unabhängiger Nichtregierungsorganisationen seit
ast 15 Jahren befinden. Spenden ausländischer Organisationen an
Nichtregierungsorganisationen werden mit hohen Abgaben belegt. Das
zwingt zu illegalen Transaktionen. Die Verweigerung der Registrierung
zwingt zu illegalen Aktivitäten, die jederzeit „auffliegen“
können und mit zu zwei Jahren Haft bestraft werden können.
3. Mit
besonders harten „Strafen“ werden von Lukaschenko
Verräter bedacht, die sich von ihm abgewandt haben und aktive
Oppositionsarbeit betreiben:
Der
ehemalige Innenminister Juri Zakharenko wurde 1999 entführt.
Es liegen Berichte übert seine Ermordung vor. Der ehemalige
Wahlkampfleiter von Lukaschenko, Viktor Gontschar, wurde im
September 1999 entführt und zusammen mit seinem Geschäftsfreund
Anatoli Krasowski wahrscheinlich ermordet, ebenso im Jahre
2000 sein früherer Kameramann Dimitrij Sawatski. Der
ehemalige Ministerpräsident Michael Tschigir wurde in
aufwendige, langwierige Strafverfahren wegen angeblichen Betrugs
verwickelt, um ihn in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Der
hoch angesehene, den Demokraten nahe stehende Politiker und ehemalige
Bürgermeister von Molodetschno, Gennadij Karpenko, starb
am 6. April 1999 unter ungeklärten Umständen.
Nachdem
er sich als Präsidentschaftskandidat in den Wahlen von 2006
präsentiert hatte, wurde der frühere Handelsminister und
spätere Botschafter in einer der baltischen Republiken, Michael
Marinitsch, strafrechtlich verfolgt und musste für Jahre
als politischer Häftling ins Gefängnis., Dasselbe Schicksal
widerfuhr dem früheren Rektor der Minsker Staatsuniversität,
Alexander Kasulin, der sich bei den Präsidentschaftswahlen
2001 offen als Gegner Lukaschenkos auftretender Kandidat
präsentierte. Auch ihn traf die Rache Lukaschenkos unmittelbar.
Er musste ins Gefängnis und wurde erst im Jahre 2008 auf Druck
des Westens freigelassen. Keiner hat den Gefängnisaufenthalt
ohne bleiende gesundheitliche Schäden überstanden.
Die Liste
solcher Falle ist lang, ich will mich auf die hier genannten Fälle
beschränken. Zurzeit werden wieder Oppositionelle strafrechtlich
verfolgt.
3. Die
Vereinigung „Menschenrechte in Belarus „hat
vor mehreren Jahre eine 600 Seiten umfassende, auch Faksimile von
original belarussischen Dokumenten umfassende Dokumentation über
die in den Jahren 1999 und 2000 Verschwundenen veröffentlicht,
die auch auf der Website nachgelesen werden kann.
Der
Europarat hat zu dem Komplex der Verschwundenen eine eigene
Dokumentation in Form des Berichts von Christos Pourgourides-
veröffentlicht. In den beiden Dokumenten wird Lukaschenko mit
der Verantwortung für die Beseitigung seiner politischen Gegner
belastet.
Vor
diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die parlamentarischen
Institutionen, vor allem das Europäische Parlament und die
Parlamentarische Versammlung des Europarats in ihren Resolutionen
weiterhin demokratischer Reformen anmahnen. In den letzten
Entschließungen des Europäischen Parlaments (2. April,
15. Januar 2009 und 9. Oktober 2008) stehen immer wieder die
Forderungen nach Revision der Wahl-, Medien- sowie der
Strafgesetzgebung des Landes im Vordergrund.
4. Die
Todesstrafe
Der
Europarat macht die erneute Anerkennung des Status eines Sondergastes
beim Europarat für das heutige Belarus auch von Fortschritten in
der Beseitigung der Todesstrafe aus dem Rechtssystem und von dem
Verzicht auf den Vollzug der Todesstrafe abhängig.
Die Zahl
der Todesurteile ist in den letzten Jahren zurückgegangen, auch
die der Vollstreckung. Aber beides geschieht weiterhin. Die Regierung
beruft sich auf das Referendum von 1996, bei dem sich 80 Prozent der
an der Abstimmung teilnehmenden Bürger für die Todesstrafe
aussprachen. Dazu ist anzumerken, dass es über diese
Schlüsselfrage der Strafgesetzgebung keine öffentliche,
ganz zu schweigen von einer parlamentarischen Debatte gibt.
Im Jahre
2004 schuf Belarus gesetzlich die Möglichkeit für ein
Moratorium und stimmte im Jahre 2007 in der Vollversammlung der
Vereinten Nationen für eine Entschließung zugunsten eines
weltweiten Moratoriums.
Am 29.
Juni 2009 wurde erneut ein 30jähriger Mann von einem Brester
Gericht zum Tode verurteilt. Ein weiteres Todsurteil erging am 3.
August 2009.
III.
Zusammenfassung
1. Die
Sorge um den Machterhalt zwingt Lukaschenko zur Aufrechterhaltung des
autoritären Regierungssystems.
2.
Vielfach wird mit dem Instrument der Scheindemokratie und der
positivistischen Gesetzmäßigkeit des Systems gearbeitet.
3. Die
Politik der Einschüchterung der Bevölkerung, besonders der
unabhängig denkenden und in Opposition zum Regime stehenden
Teile der Bevölkerung wird uneingeschränkt
aufrechterhalten. Das schließt ein temporäres oder
partielles Eingehen auf Forderungen des Auslands nicht aus.
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